„Freiheit muss verteidigt werden“

DDR-Zeitzeuge an der Hochtaunusschule Oberursel

Stasi-Opfer diskutiert 35 Jahre nach seiner Haft wegen „Republikflucht“ mit Schülerinnen und Schülern der Abiturklasse des Beruflichen Gymnasiums

Freiheit muss verteidigt werden – heute wieder und auch in Zukunft“ – mit dieser Feststellung formulierte Herr Mike Mutterlose am Ende der Veranstaltung am 23. Januar 2024 an der Hochtaunusschule Oberursel seine Botschaft – das, was junge Menschen von heute aus der DDR-Geschichte lernen können, die für sie sonst ein fernes Kapitel im Geschichtsbuch zu werden droht – mehr als drei Jahrzehnte nach Untergang des zweiten deutschen Staates stellen sich ansonsten viele 20-Jährige die Frage: „Was hat das denn heute noch mit mir zu tun?

Antworten darauf bot der Zeitzeugenbericht von Herr Mutterlose, Jahrgang 1968. Er wuchs in der DDR auf und hat 1988/1989 als junger Mann elf Monate in einem Stasi-Gefängnis zubringen müssen – unter erschwerten Bedingungen, die sich heutige Abiturienten gar nicht vorstellen: In Isolationshaft in einer fensterlosen Zelle ohne Tageslicht, mit stundenlangen, erbarmungslosen Verhören, massiven Drohungen und Erpressungen, kurzum psychische Folter. Verurteilt wegen „Republikflucht“, einem schwerwiegenden Straftatbestand in der DDR wurde er schließlich von der Bundesrepublik Deutschland im Sommer 1989, wenige Monate vor dem Mauerfall freigekauft und durfte in den Westen.

Dass sich dieses Unrecht und diese Unfreiheit nie wiederholen und dass sie nie in Vergessenheit geraten werden, hat sich Mike Mutterlose zum Lebensmotto gemacht und als Zeitzeuge schon zahlreiche Schulen besucht, um den Jugendlichen über seine Erlebnisse zu berichten, sich ihren Fragen zu stellen und mit ihnen zu diskutieren. Und das ist auch sehr wichtig: Denn Zeitzeugengespräche sind ein unverzichtbares und unersetzliches Moment eines modernen, schülerorientierten und lebendigen Geschichtsunterrichtes. Zumal wenn es um Zeitgeschichte geht und wir noch Menschen haben, die aus erster Hand berichten können, „wie es gewesen ist“. Dies berührt und packt Jugendliche viel mehr als Schulbuchtexte dies vermögen. Da lag es nahe, einen Zeitzeugen zur Geschichte der früheren DDR einzuladen. Und die Schülerinnen und Schüler der Klasse 13BG waren beeindruckt von dem Zeitzeugen und seinem Bericht über die Zeit im Stasi-Gefängnis.

Die rundum gelungene Veranstaltung traf auf eine sehr positive Resonanz bei allen Beteiligten. Da verwundert es nicht, dass eine Fortsetzung im nächsten Jahr bereits beschlossene Sache ist. Sowohl dem Zeitzeugen Herrn Mutterlose, der heuer schon zum dritten Male bei uns war, als auch der neuen Projektbetreuerin Frau Irrgang, die uns zum ersten Mal die Ehre gab, hat die Veranstaltung sehr gut gefallen und beide lobten im Nachgang die angenehme Veranstaltungsatmosphäre, die rege und lebendige Diskussion und auch die sehr gute inhaltliche Vorbereitung der beteiligten Schülerinnen und Schüler, die durch ihr großes Vorwissen nicht nur kompetenter in der Lage waren, den Ausführungen des Zeitzeugen und Stasi-Opfers Mutterlose zu folgen und passgenaue Fragen zu stellen, sondern auch diesen Erfahrungsbericht für sich historisch einordnen zu können. (Leitfrage: „Was hat das mir mit heute zu tun?“)

Vor allem aber waren die Rückmeldungen von Seiten der beteiligten Schülerinnen und Schüler sehr ermutigend und durchweg positiv. Geschichte zum Anfassen durch Zeitzeugen präsentiert zu bekommen ist keine Selbstverständlichkeit und macht auch emotional Eindruck, zumal wenn der Berichtende zum Zeitpunkt seiner Erlebnisse vor 35 Jahren in dem Alter unserer heutigen Abiturienten war. Mutterlose war bei seinem Fluchtversuch 1988 knapp 20 und hat dann Monate der Haft im berüchtigten Stasi-Knast in Berlin-Hohenschönhausen durchleben müssen. Als er darüber berichtete, war es mucksmäuschenstill im Saal und man hätte ohne Übertreibung die sprichwörtliche Nadel auf den Boden fallen hören können vor gespannter Aufmerksamkeit.

Die Hochtaunusschule dankt dem Zeitzeugen Herrn Mutterlose sowie der Deutschen Gesellschaft e.V. in Berlin, die sich unter dem Motto „Erinnerung ist Zukunft“ die Organisation von DDR-Zeitzeugengesprächen an Schulen zur Aufgabe gemacht hat, vertreten vor Ort durch Frau Maria Irrgang (siehe Fotos), e.V. sehr herzlich für ihr beispielhaftes Engagement. Beide haben einen Vormittag organisiert und realisiert, der den Jugendlichen noch lange in Erinnerung bleiben wird und manche auch zu vielfältigen Diskussionen und Reflexionen angeregt hat. Und auch nächstes Jahr wird wieder ein neuer Abiturjahrgang sich auf ein Zeitzeugengespräch freuen dürfen, das Zeitgeschichte aus erster Hand erfahrbar macht.