Eine Zeitzeugin berichtet

Am 29. April 2025 fand an der Hochtaunusschule Oberursel ein Zeitzeugengespräch mit der Holocaust-Überlebenden Frau Henriette Kretz statt. Teilnehmende waren die Schülerinnen und Schüler aller 11. und 12. Klassen des beruflichen Gymnasiums sowie alle interessierten Kolleginnen und Kollegen der Hochtaunusschule Oberursel.

Frau Henriette Kretz wurde 1934 als Tochter einer polnisch-jüdischen Familie in Lemberg (Lwiw, damals Ostpolen, heute Ukraine) geboren. Die heute 90-jährige Dame lebt in Antwerpen (Belgien), wo sie nach dem Zweiten Weltkrieg heimisch geworden ist. Sie hat als Kind den deutschen Überfall zuerst auf Polen 1939 und dann die Sowjetunion 1941 sowie die folgenden Verfolgungen und Verbrechen der Nazis miterlebt. Sie wurde mit ihrer Familie im Ghetto Lemberg eingepfercht und entging den Deportationen in die Vernichtungslager nur dadurch, dass polnische Mitbürger sie und ihre Eltern versteckten. Ein Jahr lang mussten sie sich in einem dunklen Kohlenkeller sowie auf einem Dachboden verstecken, in dauernder Todesangst, entdeckt oder verraten zu werden. Was schließlich auch geschah. Die Familie wurde verhaftet und sollte deportiert werden. Henriettes Vater leistete Widerstand, um seiner Tochter die Flucht zu ermöglichen: „Lauf!“ war sein letztes Wort. Henriettes Eltern wurden von deutschen Soldaten erschossen. Ihr aber gelang es, zu entkommen. Als neunjährige Vollwaise wurde sie zeitweilig in einem Waisenhaus katholischer Nonnen des Franziskanerordens aufgenommen und danach von ihrem überlebenden Onkel und dessen Frau adoptiert, mit denen zusammen sie nach dem Krieg nach Antwerpen in Belgien übersiedelte, wo sie bis heute lebt.

Das Zeitzeugengespräch mit der Holocaust-Überlebenden Frau Kretz war für die Schülerinnen und Schüler eine ausgesprochen wertvolle, alles andere als selbstverständliche Gelegenheit zum Austausch mit einer authentischen historischen Augenzeugenquelle. Denn wenn hochbetagte Zeitzeugen von weither zu uns kommen, um mit uns zu sprechen, ist das schon ein kostbares Geschenk, das man gar nicht hoch genug wertschätzen kann. Und auch die Jugendlichen profitieren emotional wie intellektuell enorm von solchen Zeitzeugengesprächen, die häufig zu bleibenden Erlebnissen werden – Geschichte hautnah vermittelt zu bekommen aus erster Hand – was heute wichtiger ist denn je! Die vielen Fragen der Schülerinnen und Schüler ließen jedenfalls deren Betroffenheit erkennen.

Ermöglicht wurde uns dieses Zeitzeugengespräch durch die maßgebliche Vermittlung und Organisation durch Dr. Marc Fachinger vom Projekt „Zeitzeugen“ des Bistums Limburg (siehe: zeitzeugen.bistumlimburg.de/) in Kooperation mit „Pax Christi“ (Rüdiger Grölz, pax christi-Rhein-Main) und dem „Maximilian-Kolbe-Werk“ sowie der „Shoah Foundation“. Die Hochtaunusschule dankt der Zeitzeugin Frau Kretz sowie auch dem Organisator, Herrn Dr. Fachinger sowie allen, die dieses Zeitzeugengespräch möglich gemacht haben, das den Jugendlichen noch lange in Erinnerung bleiben wird und manche auch zu vielfältigen Diskussionen und Reflexionen angeregt hat.

Vor- und nachbereitet wurde dieses Zeitzeugengespräch im Geschichtsunterricht des Beruflichen Gymnasiums, welcher der inhaltlichen Orientierung und Vorbereitung der Schülerinnen und Schüler diente.

Die rundum gelungene Veranstaltung traf auf eine sehr positive Resonanz bei allen Beteiligten, insbesondere auch den Schülerinnen und Schülern im Auditorium sowie auch dem Lehrerkollegium und der Schulleitung der Hochtaunusschule.

Die Hochtaunusschule Oberursel setzt mit diesem Zeitzeugengespräch mit Frau Henriette Kretz eine Tradition fort, die schon 2010 mit der mittlerweile verstorbenen Frau Krystyna Kozak (1928-2021) begonnen wurde, die uns im Laufe der Jahre drei Mal in Oberursel besuchen kam – seither gab es mehrere Veranstaltungen dieser Art, auch mit anderen Zeitzeugen. Mehrere Hundert Schülerinnen und Schüler haben insgesamt an solchen Zeitzeugengesprächen teilgenommen. Kaum jemand, der einmal dabei war, wird dies je vergessen!

Und es bleibt die Hoffnung, dass auch im nächsten Jahr wieder ein weiteres Zeitzeugengespräch stattfinden wird, das Zeitgeschichte aus erster Hand erfahrbar macht.