„LIES!“

Vorstandsmitglied der Abu Bakr Moschee an der HTS

Wie ist das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaften aus muslimischer Sicht zu deuten? Diese Frage kam im Religionsunterricht auf, nachdem das Thema anhand von biblischen Schöpfungstexten aus christlicher Perspektive beleuchtet wurde. Frau Latifa Kaddouri, ein Vorstandsmitglied der Abu Bakr Moschee Frankfurt, kam als Referentin an die Hochtaunusschule. Auftakt ihres Vortrages war eine Einführung in die Haltung, mit der der Koran studiert werden soll: Die Eröffnung des Koran, die im Deutschen mit „Lies“ wiedergegeben wird, fordert zur lebenslangen Auseinandersetzung mit der göttlichen Offenbarung auf. Das Wort hat im Arabischen eine große Bedeutungsspanne: lesen, hinterfragen, verstehen, interpretieren. Diese Haltung kann die Richtung für die Beantwortung der Eingangsfrage vorgeben.

90 Minuten lang folgten die Teilnehmenden voll konzentriert den Informationen. Frau Kaddouri hat zentrale Aussagen über die Schöpfung vorgestellt. Der Islam glaubt an Gott als alleinigen Schöpfer: „Er ist es, der die Himmel und die Erde erschaffen hat und was dazwischen ist.“ (Sure 25:29) Zu dem, was zwischen den Himmeln und der Erde ist, gehört auch das Wissen. Es wurde von Gott erschaffen und Menschen haben Zugang dazu. Je mehr ein Mensch weiß, desto mehr kann er die perfekte Schöpfung Gottes bewundern.

An vielen Stellen ergaben sich Fragen, die angeregt diskutiert wurden. Frau Kaddouri hat den Zuhörenden das Menschenbild des Islam nahegebracht. Sie erklärte, dass nur Gott in das Herz blicken kann und es deshalb den Menschen untersagt ist, andere zu beurteilen. Auch sind alle Menschen gleich, keiner darf sich über einen anderen stellen. Deshalb ist es streng verboten, über das Leben eines anderen zu entscheiden. In diesem Zusammenhang brannten den Teilnehmer*innen Fragen zum Dschihad und zum religiösen Extremismus auf den Nägeln. Als studierte Soziologin stellte Frau Kaddouri einen Zusammenhang zwischen Extremismus und den Lebensbedingungen in zerfallenden Staaten her. Das Wort „Dschihad“ bezeichnet die Anstrengungen, die ein Mensch unternimmt, um zu Gott zu kommen. Damit darf unter keinen Umständen Gewaltausübung legitimiert werden. Religion wird oft als Vorwand für das Durchsetzen anderer Interessen missbraucht. Ein Schüler mit afghanischen Wurzeln stellte den Extremismus in seinem Heimatland als Folge der katastrophalen Bildungslage dar: Menschen, die nicht Lesen und Schreiben können, tun und glauben, was ihnen gesagt wird. Sie haben keine Möglichkeit, extreme Glaubenslehren zu prüfen oder zu hinterfragen.