„Ich wollte in diesem Staat nicht mehr leben“

DDR-Zeitzeuge an der Hochtaunusschule Oberursel

Stasi-Opfer diskutiert 37 Jahre nach seiner Haft wegen „Republikflucht“ mit Schülerinnen und Schülern der Abiturklasse des Beruflichen Gymnasiums

Ich wollte mit 19 Jahren raus aus diesem System. Ich wollte in diesem Staat nicht mehr leben“ – so eindringlich formulierte Herr Mike Mutterlose am Ende der Veranstaltung am 12. Februar 2024 an der Hochtaunusschule Oberursel das Motiv seiner „Republikflucht“ im Jahre 1988 – nur etwa ein Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer, den damals freilich noch niemand vorhersehen konnte.

Es waren viele Fragen, welche die überwiegend 19- bis 20-jährigen Zuhörerinnen und Zuhörer an den Zeitzeugen hatten, und er beantwortete alle mit einer bewundernswerten Anschaulichkeit, Geduld und Aufrichtigkeit. Sein Anliegen wurde ebenfalls deutlich – er will, dass junge Menschen von heute aus der DDR-Geschichte lernen können, die für sie sonst ein fernes Kapitel im Geschichtsbuch zu werden droht – mehr als drei Jahrzehnte nach Untergang des zweiten deutschen Staates.

Herr Mutterlose, Jahrgang 1968, wuchs in der DDR auf und hat 1988/1989 als junger Mann elf Monate in einem Stasi-Gefängnis zubringen müssen – unter erschwerten Bedingungen, die sich heutige Abiturienten gar nicht vorstellen, mit Isolationshaft in einer fensterlosen Zelle, stundenlangen, erbarmungslosen Verhören, massiven Drohungen und Erpressungen, kurzum psychische Folter. Verurteilt wegen „Republikflucht“, wurde er schließlich von der Bundesrepublik Deutschland im Sommer 1989, wenige Monate vor dem Mauerfall freigekauft und durfte in den Westen.

Dass sich dieses Unrecht und diese Unfreiheit nie wiederholen und dass sie nie in Vergessenheit geraten werden, hat sich Mike Mutterlose zum Lebensmotto gemacht und als Zeitzeuge schon zahlreiche Schulen besucht, um den Jugendlichen über seine Erlebnisse zu berichten, sich ihren Fragen zu stellen und mit ihnen zu diskutieren. Und die über 30 anwesenden Schülerinnen und Schüler der 13. Klasse des Beruflichen Gymnasiums der Hochtaunusschule Oberursel waren sichtlich beeindruckt von dem Zeitzeugen und seinem Bericht über die Zeit im Stasi-Gefängnis.

Die rundum gelungene Veranstaltung traf auf eine sehr positive Resonanz bei allen Beteiligten. Da verwundert es nicht, dass eine Fortsetzung im nächsten Jahr bereits beschlossene Sache ist. Sowohl dem Zeitzeugen Herrn Mutterlose, als auch der Projektbetreuerin Frau Irrgang, hat die Veranstaltung sehr gut gefallen und beide lobten im Nachgang die angenehme Veranstaltungsatmosphäre, die rege und lebendige Diskussion und auch die sehr gute inhaltliche Vorbereitung der beteiligten Schülerinnen und Schüler im Geschichtsunterricht an der Hochtaunusschule Oberursel.

Die Hochtaunusschule dankt dem Zeitzeugen Herrn Mutterlose sowie Frau Maria Irrgang von der Deutschen Gesellschaft e.V. in Berlin, die unter dem Motto „Erinnerung ist Zukunft“ DDR-Zeitzeugengespräche an Schulen organisiert, sehr herzlich für ihr beispielhaftes Engagement. Und auch im nächsten Jahr wird wieder ein neuer Abiturjahrgang sich auf ein Zeitzeugengespräch freuen dürfen, das Zeitgeschichte aus erster Hand erfahrbar macht.

Dies wird aber nicht das einzige Zeitzeugengespräch bleiben, das die Hochtaunusschule Oberursel ihren Schülerinnen und Schülern in diesem Jahr wird anbieten können. Denn bereits am 29. April 2025 wird uns die Holocaust-Überlebende Frau Henriette Kretz zu einem Zeitzeugengespräch besuchen. Die bereits über 90-jährige Dame, die heute in Antwerpen lebt, wurde 1934 als in einer polnisch-jüdischen Familie geboren und erlebte als Kind den deutschen Überfall auf Polen, die Besatzung und Verfolgung durch das Nazi-Regime, das Verstecken im Untergrund und die schließlich Verhaftung und Ermordung ihrer Eltern. Sie selbst überlebte nur durch glückliche Zufälle, weil sie auf mutige Menschen traf, die – unter Inkaufnahme eigener Lebensgefahr – bereit waren, sie bis Kriegsende zu verstecken. Frau Kretz, die schon einmal, am 2. Oktober 2023 bei uns zu Gast war, wird uns trotz ihres hohen Alters, auch in diesem Jahr wieder besuchen kommen, um mit Schüler*innen der Klassen 11BG und 12BG im Fach Geschichte ins Gespräch zu kommen und ihnen zu ermöglichen, mehr über dieses dunkelste Kapitel der Geschichte zu erfahren.